Eine Suche nach Identität im 90. Jahre des Bestehens. Aus Vogelperspektive #15.
Wer ist der EHC Kloten?
Ricardo Schödler hat als neuer Sportchef eine Interviewaussage gemacht, die uns zu denken geben sollte. Er meinte, dass viele wüssten wofür der EHC steht – nur in Kloten selber nicht. Das trifft wahrscheinlich den Nagel auf den Kopf und beschreibt ein Problem, das sich hartnäckig hält. Im 90. Jahr des Bestehens machen wir uns deshalb wieder einmal auf die Suche nach der Identität des EHC Kloten. Wir wollen das Jubiläumsjahr dafür nutzen, um gemeinsam über diesen Club nachzudenken – mit schliesslich ganz konkreten Empfehlungen an die Vereinsspitze.
„Schwierige Rahmenbedingungen“, „ganz unterschiedliche Anspruchsgruppen“, „harziger Ticketverkauf“: Hört man sich im Herbst 2024 bei verschiedenen Vereinsverantwortlichen um, so deutet oft vieles darauf hin, dass dieser Club im Allgemeinen wenig Grund zu grenzenloser Passion bietet. Auch gehört der EHC Kloten nicht zu den Reichen und Erfolgsgewohnten der Liga – anders als dies noch vor zehn Jahren der Fall war. Der Ruf des unsympathischen Lohntreibers ist schwierig abzustreifen und ein Erbe jener Ära. Sportlich muss man sich heute realistischerweise weiterhin am hinteren Teil der Tabelle orientieren.
Diese Ausgangslage unterscheidet sich fundamental von der in Ambri, wo man sich trotz Underdog-Image eine sportlich äusserst kompetitive Mannschaft leistet und gleichzeitig gewohnt ist, dass einem alle (vor allem auch deutschschweizerischen) Herzen zufliegen. Insgesamt liefert der EHC Kloten als Kontrastprogramm ein sehr defizitorientiertes Bild ab, das aber auch Realitäten prägt: Kein Geld, wenig Erfolg, nur vereinzelte, richtige Identifikationsfiguren, keine Massenbasis wie in Fribourg, kein Hype wie beim FCW, kein Mythos wie in Ambri. Gesprochen wird im Umfeld sehr oft über die rückläufige Anzahl Saisonkarten, über fehlende Sponsoren und lauwarme Bratwürste. Im Fernseher stechen leere, blaue Sitze ins Auge.
Es gäbe Grund zur Freude!
Unter diesen allgemeinen Vorzeichen waren es nicht besonders viele Leute, die mitkriegen durften, dass Kloten mit attraktiverer Spielweise wieder Grund zu grosser Freude bereitet hatte: Vor halbleeren Rängen gelang dem EHC einen Saisonstart über allen sportlichen Erwartungen. Man schlug Vereine wie Zug, Fribourg, Bern oder Lausanne auf begeisternde Art und Weise vor einem ausgedünnten Anhang. Beim Heimspiel vom 9. Oktober gegen Ambri standen gar mehr Anhänger der Gegner auf der Stehrampe als im Heimsektor – und dies obwohl ein Sieg bedeutet hätte, dass sich der EHC Kloten zwischenzeitlich wieder auf den zweiten Platz in der Tabelle hätte hieven können. Sportlicher Erfolg als monokausales Erklärungsmuster für ein volles Stadion? Diese These entpuppt sich in diesem Licht als falsch.
Müssen wir also feststellen, dass sich die Basis des EHC Klotens über all die Jahre ausdünnt? Während anderswo der Saisonkartenverkauf gestoppt wird und nahe gelegene Sportvereine einen absoluten Hype erleben, lässt sich der Anhang des EHC Klotens (zu) wenig an die Spiele mobilisieren. Wer in den Monaten September und Oktober – besonders unter der Woche und gegen Westschweizer Vereine – ins Stadion pilgert, kann sich heute getrost als Teil des harten Kerns der Klotener Gemeinschaft bezeichnen. Zweifellos sind es diese Leute, die den EHC Kloten beurteilen können. Sie wissen um sein Potenzial und um seine Grenzen. Es ist also Zeit, sich bei ihnen umzuhören. Auf den Stehplätz haben wir gefragt, wofür in ihren Augen dieser Club eigentlich steht, und warum man auch dann an den Kloten-Match geht, wenn viele andere zu Hause bleiben.
Fans als Spezialist_innen ihres Vereins begreifen
Als Antwort haben wir Vielschichtiges erhalten. Der EHC Kloten wird assoziiert mit dem Hardwald, mit dem Nahen, mit der regionalen Verbundenheit. Kloten als ein Ort wo Stadt und Land zusammenkommt. Betont wird die unglaubliche soziale Integrationskraft, die es so nur auf den Stehplätz Schluefweg gäbe. Es ist die Rede von „Familie“, von Zusammenhalt und dass die Kurve ein Ort sei, an dem etwas laufe. Stehplätz als ein Ort wo jeder so akzeptiert werde, wie er sei. Kloten als Eishockeyverein mit grosser und beeindruckender Tradition.
Sportliche Argumente gehören trotz vielen Niederlagen der letzten beiden Jahre zum Vielgenannten: Der EHC Kloten als ein Verein der Jugend, als Club des Nachwuchses. Kloten wird als ein Verein beschrieben, der schnelles Eishockey zelebriert und dabei alles gibt. Es wird das Bild von Junioren gezeichnet, die (früher gar mit Gitterhelmen) keck aufspielen und gestandene Millionäre der Gegenseite alt aussehen lassen. Mit diesem Bild sind viele aufgewachsen, dieses Bild hält sich bis heute in den Köpfen. Es ist dies ein Bild, das sich offensichtlich auch über die Jahre der finanziellen Eskapaden (vergleiche „Blaue Vögel“, Kapitel zu Klotener Existenzangst) und die Dominanz der Nationalliga B-Jahre halten konnte. Kloten als sympathischer Aussenseiter, als Verein der Jugend. Auch in der Geschichte ist diese Narration verankert: Der EHC Kloten wurde vor fast genau 90 Jahren, am 3. Dezember 1934, von einer wilden Bande 17-jähriger gegründet. Von Jugendlichen, die heute im öffentlichen Raum vermutlich vielerorts als Ärgernis wahrgenommen würden.
Eine der derauf folgenden Fan-Generationen, jene die mit dem vierfachen Titelgewinn und grossem sportlichen Erfolg aufgewachsen war, hatte gar für einen zwischenzeitlichen Boom des EHC Klotens gesorgt. Diese Generation kommt in die Jahre. Es sind Jüngere, die der EHC Kloten heute gewinnen muss, um eine stabile Zukunft vor sich zu wissen. Seit der EHC Kloten in die Nationalliga A zurückgekehrt ist, sind Siege alles in allem spärlicher geworden. Es sind andere Aspekte, die Identifikation ausmachen. Dabei spielt die Geschichte eine Rolle, die über diesen Club erzählt wird.
Rückblende: Als die ASE Group aus Kanada einst den Verein übernahm, versprachen sie, dass der EHC inskünftig nicht nur für Hardcore-Fans eine Referenz darstellen sollte, sondern auch für Familien und Paare. Mit der gleichzeitigen Preiserhöhung machten sie sich im gleichen Atemzug zum Ärgernis der Hardcorefans. Familien und Paare waren in der Folge seltener zu Gast als je zuvor.
Kleine Dinge, die das grosse Bild prägen
Der EHC Kloten ist vieles und er ist seit jeher eine Gemeinschaft der Jugend. Will der EHC Kloten die Jugend heute wirklich wieder von neuem gewinnen, so muss er sie ernstnehmen und ins Stadion holen. Er muss die Konkurrenz des Fussballs dabei mitdenken. Gratistickets für uncoole Spiele, die offensichtlich sowieso niemand sehen will, sind nicht das geeignete Rezept. Es geht nur mit allgemeinen, fairen Preisen in den billigsten Kategorien – also für die Stehplätze. Damit wird die Gemeinschaft gestärkt. Heute muss für einen Achtjährigen geschlagene 17 Franken Eintritt hingeblättert werden. Für Stehplätze. Erwachsene Hardcorefans sind manchmal bereit, absurde Preise zu bezahlen. Alle anderen sind schwerer zu überzeugen, solange es keinen Hype gibt. Es ist also höchste Zeit, alles Mögliche für eine volle Stehrampe zu tun, weil eben genau hier die massenhafte Bindung einer neuen Generation stattfindet. Der Moment dieser Bindung kann kurzfristig verpasst werden und damit langfristige Schäden anrichten.
Statt eine Preissenkung vorzunehmen, wurden im Herbst 2024 die Eingangskontrollen intensiviert: Man will sehen, ob sich Leute unberechtigterweise mit vergünstigten Tickets ausgestattet hatten. Während Kloten heute um alle Anwesenden froh sei müsste, sind es manchmal kleine Dinge, die das grosse Bild prägen.
Aus Vogelperspektive #15, November/Dezember 2024.